Mit der Deutschen Condor startete unser kleines Team von der Mittelmosel (Augenarzt Dr. Andreas Künster, Optikermeister Hans-Peter Platten und die Med. Fachangestellten Heike Seiberling und Marion Muszarsky) vom Verein Kids´and Poors´Eyes International e.V. am Freitagabend, dem 11.3.2016 zu einem augenärztlichen Hilfseinsatz nach Tansania.
Ziel war eine kleine Augenabteilung am Regional Hospital in Mbeya im Süden Tansanias. Mbeya hat ca. 300.000 Einwohner und liegt in 1700 m Höhe, ca. 120 km von der Grenze zu Malawi im Süden Tansanias entfernt. Der Einzugsbereich der Stadt umfasst eine Bevölkerung von ca. 3 Mio Menschen. Es gibt als primäres Gesundheitszentrum das Mbeya Regional Hospital, das die Primärversorgung leistet, ferner das Referal Hospital, an das von mehreren Kliniken der Region die komplizierteren Fälle überwiesen werden. Vor ca. 3 Jahren hat Dr. Fariji Killewa, Assistant Medical Officer, am Regional Hospital eine kleine Augenabteilung gegründet. Die apparative Ausstattung ist spärlich, er verfügt über eine Spaltlampe, ein Tonometer, ein direktes Ophthalmoskop, ein altersschwaches und veraltetes OP-Mikroskop, das er von Freunden geliehen hat, und chirurgische Instrumente zur Durchführung von Cataractoperationen. Ihn besuchten wir.
Der Kontakt nach Mbeya entstand letztendlich über den ehemaligen Chefchirurgen des Bernkasteler Krankenhauses, Herrn Dr. Rothschenk sowie seinem allgemeinmedizinischen Kollegen Prof. Hinz. Beide waren als junge Ärzte und nach ihrer Pensionierung ehrenamtlich in Tansania tätig. Und sie brachten die ihnen vertraute Physiotherapeutin Elizabeth Makalla nach Deutschland. Sie wurde von uns im Augenzentrum Mittelmosel am Grauen Star operiert und knüpfte ganz begeistert nun den Kontakt mit Dr. Killewa, der als erster ihren Grauen Star diagnostiziert hatte. Elizabeth Makalla leitet die Physiotherapie am Regional Hospital, ihre Abteilung ist genauso mager ausgestattet wie die von Dr. Killewa.
Unser erster Einsatz in Tansania sollte einem ersten Kennenlernen der Gegebenheiten vor Ort dienen und zugleich ein Screening von Schulkindern der umliegenden Schulen beinhalten, um Erkrankungen und Fehlsichtigkeiten aufzudecken und durch Brillenanpassungen zu korrigieren. Dazu wurde der einheimische Kollege mit seinem medizinischen Hilfspersonal um ein Vorscreening gebeten, damit uns lediglich die auffälligen Kinder vorgestellt werden konnten.
Schon der Empfang nach unserem Flug von Frankfurt nach Sansibar und von dort weiter über Daressalaam nach Mbeya war sehr herzlich und freundschaftlich. Das Vorscreening hatte Dr. Killewa mit seiner Mannschaft sehr zuverlässig und perfekt in 6 umliegenden Schulen durchgeführt, 3 staatlichen und 3 privaten Schulen. Am ersten Tag wurden wir durch die verschiedenen Abteilungen des Hospitals geführt – Innere, Radiologie, Labormedizin, Pädiatrie, Outpatient Department, Augenheilkunde und nicht zu vergessen die Krankengymnastik.
Hier offenbarte sich schon der Mangel an vielen Dingen in allen Bereichen. Zu Dr. Killewas Klinik gehören 1 Optiker mit 2 Assistentinnen sowie 4 Nurses. Der Optiker fertigt – ganz von Hand, ohne funktionsfähiges automat. Schleifgerät - nur Brillen aus mineralischen Gläsern an. Kunststoffgläser sind nicht verfügbar. Ebenso gibt es bestenfalls Bifokalbrillen, keine Gleitsichtbrillen. Die verfügbaren Brillengestelle beschränken sich auf wenige einfache Standardmodelle.
Am 1. Tag arbeiteten wir in der Klinik. Schüler der nahegelegenen Adventist School und einer weiteren benachbarten Schule wurden uns vorgestellt. Es waren die Schüler, die beim Screeningtest mit einer Sehschärfe kleiner/gleich 0,8 auffielen oder Augenerkrankungen in der Familie oder in der Vorgeschichte hatten oder Beschwerden angaben. Auch im Outpatient Department sahen wir gemeinsam mit Dr. Killewa Patienten an, um einen Einblick in seine Arbeit und sein Patientenspektrum zu bekommen.
Es fanden sich bemerkenswert viele Glaukompatienten im Endstadium mit subtotaler Optikusatrophie sowie Keratokonuspatienten, ferner Hornhautnarben und degenerative Netzhauterkrankungen, vereinzelt auch Makulopathien. Auch Diabetiker sind ein zunehmendes Problem in Tansania, wir sahen aber nur wenige. Besonders beeindruckend war eine Patientin, die sich mit Linsenluxation in den Glaskörper-Raum bei hypermaturer Cataract – an diesem Auge erblindet – vorstellte, am anderen Auge mit beginnend quellender Linse bei maturer Cataract und Fingerzählen. Sie wurde für eine Cataract-Operation vorgesehen. Standard ist hier, eine Linse mit Werten zwischen 20 und 22 dpt einzusetzen, eine individuelle Bestimmung der Linsenstärke wird mangels Keratometer und Biometriegerät nicht durchgeführt. Auffällig erschien uns auch die durchweg große Exkavation des Nervus Optikus bei sehr großen Durchmessern des N.opticus der Afrikanischen Bevölkerung. Am zweiten Tag gab es den ersten sogenannten Outreach, d.h. einen Außenbesuch. Ca. 25 km außerhalb der Stadt besuchten wir eine Mädchenschule, die Harrison Uwata Girls School, eine Privatschule in kirchlicher Trägerschaft mit ca. 700 Schülern, von denen 562 gescreent waren im Alter bis zu 17 Jahren. Von diesen wurden uns 42 vorgestellt. 37 von ihnen bekamen Brillen.
Die Schule machte einen sehr wohlgeordneten Eindruck, die Schülerinnen, sehr niveauvoll und gebildet, freuten sich sehr über die Abwechslung, die unser Besuch ihnen brachte. Die Wertschätzung unserer Arbeit zeigte sich bereits zu Beginn des Tages – Begrüßung durch die Direktorin, Frühstück im Arbeitszimmer der Direktorin. Auch am Abend gab es nochmals afrikanisches Essen für uns. An diesem Tag arbeiteten wir bis ca. 20.00 und mußten aufgrund der Dunlkelheit und mangelhafter Raumbeleuchtung unsere Arbeit beenden. Am Mittwoch, unserem dritten Arbeitstag, machten wir zunächst eine Besichtigung der Augenabteilung im Referral Hospital von Mbeya – mit den Kollegen Dr. Ntomoka und Dr. Barnabas Mshango. Dr. Mshango leitet seit 3 Jahren die Abteilung, zuvor hatte sie Dr. Killewa für ein Jahr geleitet, als Nachfolger eines plötzlich verstorbenen Kollegen, ehe er mit der Gründung einer Augenabteilung am Regional Hospital beauftragt wurde.
Im Anschluss an die Besichtigung der Klinik hatten wir ein Outreach in der Mwenge Primary School mit ca. 825 Schülern. Sie liegt in einem ärmlichen Viertel Mbeyas. Die Primary School umfasst in Tansania 7 Jahre, wohingegen die Secondary School 6 Jahre umfaßt und zur Hochschulreife führt, vergleichbar dem deutschen Abitur. Entsprechend schwierig gestaltete sich in der Primary School die Verständigung mit den Schülern, die nur in den seltesten Fällen Englisch verstanden. Es fanden sich hier eine ganze Reihe stärker sehbehinderter Kinder, die uns in der Mehrzahl vorgestellt wurden. Ehe wir mit unserer Arbeit beginnen konnten, mußten wir zunächst einmal zusätzliche Stromkabel besorgen, um in dem zur Verfügung stehenden Klassenraum, der keinen Elektroanschluß hatte, mit unserer Gerätschaft (Sehzeichenmonitor, Plusoptix zur Refraktionsmessung) arbeiten zu können. An den Wänden bröckelte der Putz, im Boden waren große Löcher, die Schulbänke waren durchweg wurmstichig, die Fensterscheiben oft gesprungen. Zunächst beseitigten die Kinder mit Reisigbesen den gröbsten Staub im Klassenraum. Mit einiger Verspätung konnten wir schließlich unsere Arbeit beginnen. Der Untersuchungsablauf war im Vergleich zum Vortag deutlich erschwert, denn neben fehlenden Englischkenntnissen konnten die Kinder häufig keine Zahlen lesen. So kamen E-Haken als bevorzugte Sehzeichen zum Einsatz. Dr. Killewa und Elizabeth Makalla sowie Mitarbeiter der Schule halfen beim Dolmetschen und Untersuchen. Es wurden uns überwiegend die Kinder einer Sehbehinderten-Klasse vorgestellt – teils sehr traurige Fälle mit Optikusatrophien bei Buphthalmus, primärem Anophthalmus an einem und NH/AH- Kolobom am anderen Auge, Albinismus, Strabismus, Retinopathia pigmentosa, Marfan-Syndrom mit subluxierter und luxierter Linse, Z.n. Cataract-OP mit HKL in Daressalaam und Amblyopie bds.. Die Brillenanpassungen dauerten aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten und der Behinderungen der Kinder extrem lange, erforderten unendlich viel Geduld und Einfühlungsvermögen, nicht zuletzt deshalb, weil die Kinder – sehr autoritär erzogen – nur sehr, sehr leise und schwer verständlich sprachen, offenbar als Zeichen der Unterwürfigkeit und Ehrfurcht. Es fanden sich viele höhere Myopien . Bei vielen Kindern konnte durch eine Brille der Visus von 30% auf 80-100% angehoben werden, wodurch den Kindern eine Teilnahme am Unterricht natürlich wesentlich erleichtert wird. Die Kinder mit Spontannystagmus und Albinismus erreichten immerhin eine Sehschärfe um 50% von ursprünglich 10-20%. Am Ende des Tages bekamen wir von der Concierge zum Dank ein afrikanisches Essen serviert - Hähnchen, Reis, Bohnengemüse und zum Nachtisch sehr aromatische Bananen. Alles sah nicht sehr appetitlich aus, schmeckte aber umso leckerer....
Mit einem guten Gefühl konnten wir den nächsten Tag beginnen: er führte uns zu einer Integrationsschule in der Hochebene – dem in über 2000m gelegenen fruchtigen Hochplateau – eine zauberhafte grüne Landschaft mit angenehmen Temperaturen und fruchtbaren Bananen- und Teeplantagen. In dieser Region sind die meisten Menschen als Arbeiter angestellt und in der Landwirtschaft tätig. Der Tageslohn entspricht ca. 3000 TSH (Tansanian Shilling), das entspricht knapp 1,50 Dollar/Euro. Allerdings kostet 1 kg Bananen auch nur 40 cent. Nach einem Antrittsbesuch beim Leiter der Schulbehörde in Rungwe, bei dem wir auch den regionalen Augenarzt kennenlernten, der uns in die Schule begleitete half, konnten wir schließlich gegen 12.00 nach Aufbau unseres Equipments – erneut in ärmlichsten und schmutzigen Räumen, die rasch noch ausgefegt wurden - unsere Arbeit beginnen. Dabei waren wir auf die Hilfe der beiden Augenärzte und der uns stets begleitenden Elizabeth Makalla sowie einiger Lehrer angewiesen, um uns überhaupt mit den Kindern verständigen zu können.
In dieser Schule (Katumba II Primary school) sahen wir noch schlimmere Fälle als bisher – denn es ist eine Spezialschule für behinderte Kinder. So untersuchten wir hier 12 Albinos, deren Visus durch eine Brillenanpassung von 0,2 auf 0,4-0,5 angehoben werden konnte. Das versetzt die ansonsten ohnehin sehr benachteiligten, ausgegrenzten und in Afrika auch gejagten Albinokinder, denen magische Kräfte nachgesagt werden, in die Lage, dem Schulunterricht besser folgen zu können. Desweiteren mindern getönte Brillengläser das stark vermehrte und sehr störende Blendungsempfinden bei den Albinos. Ferner sahen wir Kinder mit Buphthalmus-Augen, die mit und ohne OP schon erblindet waren, zum Teil mit deutlicher Cataract nach Glaukom-OP, mit Mikrophthalmus, mit Schrumpfungen und Vernarbungen des Augapfels nach nicht versorgten perforierenden Verletzungen, Kinder mit zum Teil einseitiger, zum Teil beidseitiger schon operierter Cataract und Kunstlinsenversorgung, die leider eine Amblyopie (Schwachsichtigkeit) entwickelt hatten. Leider war in diesen Fällen meist keine medizinische Hilfe mehr erfolgversprechend, da zu spät. Dennoch, einigen dieser schwer beeinträchtigten Kinder konnte durch eine Brille das Restsehvermögen verbessert werden. Nach einem sehr eindrucksvollen, erlebnisreichen und auch anstrengenden Tag erreichten wir pünktlich mit Einbruch der Dunkelheit, denn danach wird das Fahren auf den Tansanischen Straßen sehr gefährlich, unser Quartier. Unterwegs sahen wir einige schwere Unfälle mit Bussen und LKWs, bei denen es auch einige Tote gegeben haben musste.
Freitags besuchten wir die in Nähe des Flughafens gelegene, sehr moderne und saubere, von dem Schweizer Church adviser Reverent Marcus Rehner (Mbalizi Evangelistic Church) vor 3 Jahren erbaute Songwe Sunrise Secondary School. Hier zeigten die Schüler ein hohes Bildungsniveau, fast alle verstanden Englisch, was die Untersuchungen wesentlich erleichterte. Der Direktor der insgesamt 420 Schüler umfassenden Schule war seinerzeit Dr. Killewas Lehrer gewesen. Immer wieder fiel uns auch hier die sehr leise, fast flüsternde Sprache der Schüler auf, offenbar ein Zeichen der Achtung und Ehrfurcht. Insgesamt waren alle 420 Schülerinnen und Schüler gescreent worden, 65 auffällige wurden uns zur Untersuchung vorgestellt, von denen 42 einer Brille bedurften. Der Visus konnte oftmals von 50 auf 100 % Sehschärfe gesteigert werden, häufig lagen zum Teil höhere Myopien und Astigmatismen vor. Auch 2 Kinder mit kongenitaler einseitiger Cataract und OP sahen wir, allerdings mit tiefer Amblyopie des zwar schön, aber leider erst spät in Daressalaam operierten Auges. An diesem Tag mussten wir – obwohl es sich um die besten Räumlichkeiten handelte, die wir vorfanden, dreimal unsere Arbeit wegen Stromausfalls unterbrechen. Es entstanden längere Wartezeiten, bis wir unsere Arbeit fortsetzen konnten. Schließlich zwang uns die Dunkelheit, unser Tagwerk zu beenden. Einige Kinder konnten leider nicht mehr von uns kontrolliert werden, sie sind für den nächsten Aufenthalt eingeplant. Insgesamt blicken wir zurück auf eine sehr interessante und schöne Arbeitswoche. Unser weiterer Besuch wird sehnsüchtig erwartet, dann gilt es, auch in der Klinik verstärkt präsent zu sein und materiell und logistisch die Arbeit dort, wenn möglich auch operativ, zu unterstützen.